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29.03.2021

Warum es ohne Open Source Software keine digitale Souveränität gibt

Kirsten Nothbaum
Im Interview berichtet Peter Ganten, Vorsitzender der Open Source Business Alliance, über Open Source und Digitalisierung in Europa.

Mehr Open Source wagen! Mit diesem Aufruf haben Peter Ganten und Rafael Laguna in ihrem Gastartikel in der FAZ für einigen Wirbel gesorgt. Der CEO von Univention und der Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen unterstreichen in ihrem Aufruf, dass Open Source eine notwendige Voraussetzung für digitale Souveränität ist und diese für die wirtschaftliche Prosperität Deutschlands und Europas genauso wie für eine demokratische, selbstbestimmte Gesellschaft unabdingbar ist.

Die Bedeutung digitaler Souveränität in einer von Abhängigkeiten geprägten Welt findet in der öffentlichen Meinung inzwischen einen breiten Konsens. Doch was genau bedeutet eigentlich digitale Souveränität und welche unterschiedlichen Definitionen werden diskutiert? So meint beispielsweise Thorsten Thiel in seinem Beitrag „Gewollte Kontrolle“ bei Internationale Politik, dass der Begriff Souveränität „längst überwunden“ sein sollte und sie ein bloßer „Abwehrreflex“ sei, weil sie „völlige Autonomie“ anstrebe.

Wir fragen deshalb in diesem Interview bei Peter Ganten nach, was er sich unter digitaler Souveränität vorstellt und warum er trotz obigen Einwandes daran festhält.

Hallo Herr Ganten, vielen Dank, dass Sie uns heute einige Fragen beantworten. Wie blicken Sie auf die aktuelle Lage?

Die Coronakrise hat gezeigt, wie sehr das Digitale unsere Lebensbereiche durchdringt und Menschen helfen kann, Arbeit und Bildung neu und zugleich effizient zu organisieren. Videokonferenztools, Online-Office-Lösungen, Cloudspeicher oder Online-Marketplaces – der Run auf die Lösungen dafür ist immens. Die praktischen Vorteile liegen auf der Hand: Die meisten Werkzeuge sind schnell einsatzbereit und können mit geringem Lernaufwand genutzt werden. Viele dieser Tools zeigen jedoch erhebliche Defizite in Hinblick auf Sicherheit und Datenschutz wie beispielsweise die fehlende Kontrolle über Prozesse und Daten. Zudem verstärken sie die Abhängigkeit von einigen wenigen Herstellern.

Glücklicherweise gibt es gute Alternativen, bei denen es sich zu einem erheblichen Teil um Open-Source-Lösungen handelt – diese lassen sich datenschutzkonform einsetzen. Organisationen und Privatpersonen können die Entstehung neuer Abhängigkeiten damit vermeiden, zudem bleiben Staat und Wirtschaft innovationsfähig.

Welche Rolle hat Open Source bei der rasanten Digitalisierung gespielt?

Praktisch alle digitalen Dienste und Angebote, die spätestens seit dem Jahr 2000 mit und nach der so genannten New Economy entstanden sind, wären ohne Open Source Software gar nicht denkbar. Gute Beispiele sind heute hoch profitable Internet-Konzerne wie Amazon, Google, Twitter und Facebook, die ihre Dienste auf Basis von Open Source Software entwickeln und betreiben. Das gilt inzwischen auch für viele europäische Unternehmen wie beispielsweise Bosch, Daimler oder Zalando.

Hohes Innovationstempo, Skalierbarkeit und Sicherheit sind die Hauptgründe, warum Unternehmen strategisch auf Open Source Software setzen. Sie können in ihren Rechenzentren ausgeführten Code vollständig selbst kontrollieren und so ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleisten. Das ist für ihre Geschäftsmodelle essenziell: Man stelle sich vor, was es für Google bedeuten würde, wenn Hacker Suchanfragen bestimmten Nutzern zuordnen oder bei Mercedes Einblick in Konstruktionsunterlagen erlangten.

Mit der eingesetzten Open Source Software können die Unternehmen nahezu grenzenlos skalieren, beliebig viele Nutzer bedienen, und sie müssen nicht regelmäßig neue Lizenzverhandlungen führen. Und im sich ständig verändernden Markt können sie ihre Software jederzeit schnell an neue Bedürfnisse anpassen – und gerade dadurch sehr innovativ agieren.

Vor welchen Herausforderung stehen dabei die deutsche und europäische Wirtschaft, wenn sie sich im Wettbewerb mit den momentan marktbeherrschenden Konzernen behaupten will?

Durch den Trend zu weltweit skalierenden, aber immer zentraler organisierten Cloud-Systemen sind Plattformen und geschlossene Lösungsanbieter entstanden (sogenannte Hyperscaler). Diese setzen zwar selber Open Source Software ein und ermöglichen damit erst ihren immensen Erfolg. Gleichzeitig machen sie aber selbst weder den kompletten Code ihrer Software, die Funktionsweise ihrer Algorithmen noch die von ihnen gesammelten Daten zugänglich. Wie auch bei vielen anderen Plattformen und Lösungsstacks werden von diesen Anbietern Daten über und von den Nutzern gespeichert.

Wir wissen das längst von Facebook und haben das gerade auch bei Microsoft in Bezug auf die Aufzeichnung der Aktivitäten von Microsoft-365-Nutzern gesehen. Mit diesen Daten sind sie in der Lage, das Verhalten von Nutzern vorherzusagen und es im Sinne ihrer Besitzer oder deren politischer und kommerzieller Auftraggeber zu beeinflussen, beziehungsweise ihren Auftraggebern die Möglichkeit dazu zugeben. Die schon aufgrund der immens hohen Nutzerzahlen zur Verfügung stehenden Informationen versetzen die Anbieter dieser Plattformen in die Lage, neue Geschäftsmodelle zu identifizieren oder gut funktionierende Modelle für die eigene Nutzung schnell zu adaptieren. So entsteht ein Plattformeffekt, der diesen Konzernen einen deutlichen Marktvorteil bietet und weitere Expansion ermöglicht. Der Raum für die Wertschöpfung der Anwenderunternehmen gerät gleichzeitig unter Druck und Wettbewerb und Innovation werden immer schwieriger.

Der Einsatz von Open Source Software allein ist also nur eine notwendige, aber nicht die einzige Bedingung für die Möglichkeit, Kontrolle auszuüben und innovativ bleiben zu können. Wir müssen außerdem unabhängiger von den momentan marktbeherrschenden Plattformen und Lösungsstack-Anbietern werden und an Stelle dessen auf offene Plattformen setzen, bei denen jede Organisation Daten unter der eigenen Kontrolle, wenn sie will sogar im eigenen Rechenzentrum, verwalten und basierend darauf eigene Dienste anbieten kann. Diese Daten und Dienste müssen sich mit denen anderer Anbieter kombinieren („föderieren“) lassen. Dann kommen wir zurück zu einem Markt, in dem sich die Teilnehmer auf Augenhöhe begegnen und in dem jeder entscheiden kann, wann er von wem Leistungen hinzukauft und wann er selbst produziert oder Daten speichert, etwa um einem erhöhten Schutz- oder Innovationsbedürfnis gerecht zu werden.

Was genau macht digitale Souveränität aus?

Digitale Souveränität bedeutet im Kern die Garantie für Staat, Unternehmen und Einzelpersonen, selbst darüber bestimmen zu können, wer wann und unter welchen Umständen auf selbst generierte oder selbst gespeicherte Daten zugreifen und in der Folge die für die Geschäfts- und Verwaltungsprozesse notwendigen Dienste entwickeln und kontrollieren kann.

Was sollten Deutschland und Europa tun?

Digitale Souveränität bedarf klarer Bedingungen und Standards, die mit Open Source Software realisiert werden können. Hier lohnt sich ein Blick auf zwei sehr zentrale Prinzipien digitaler Souveränität:

Erstens: Digitale Souveränität ist nur möglich, wenn Organisationen ihren IT-Systemen vertrauen können. Staaten, Unternehmen und andere Organisationen müssen also verifizieren können, dass die von ihnen verwendete Software tatsächlich sicher ist. Open Source Software ermöglicht eine Überprüfbarkeit des ausgeführten Codes. Einfache Bugs können so ebenso wie gefährliche Sicherheitslücken selbst entdeckt und verlässlich behoben werden. Organisationen können zudem selbst wählen, ob sie verwendete Open Source Software bei einem frei wählbaren Cloud-Anbieter ihres Vertrauens oder im eigenen Rechenzentrum betreiben wollen.

Zweitens: Digitale Souveränität besteht, wenn Staaten und Unternehmen ihre Prozesse unabhängig von Softwareherstellern optimieren und auf Basis ihrer eigenen Ideen und Daten Innovationen generieren können. Damit dies möglich wird, müssen sie jedoch die volle Kontrolle über den Programmcode haben und auf alle selbst erzeugte und auf von anderen zur Verfügung gestellte Daten zugreifen können. Das gelingt ihnen nur mit Open Source Software.

Überall wird über digitale Souveränität geredet. Aber können Sie uns ganz konkrete Beispiele aus der Praxis nennen?

Digitale Souveränität ist bei der Digitalisierung von Bildung, Geschäfts- und Verwaltungsprozessen von zentraler Bedeutung. Dass Open Source Software dabei eine zentrale Rolle spielt ist längst bei Entscheidern angekommen und hat spannende Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen in Gang gesetzt. Auf kommunaler Ebene: angefangen bei Städten und Gemeinden, wo sich immer mehr Städte wie Hamburg, Köln, Dortmund oder München zum Open-Source-Gedanken bekannt und eigene „Open-Source-First-Strategien“ veröffentlicht haben.

Auf Länderebene: Schleswig-Holstein und Thüringen liefern mit eigenen Open-Source-Strategien gute Beispiele. Dataport, der größte deutsche IT-Dienstleister für die öffentliche Verwaltung, setzt mit dem Projekt „Phoenix“ das ehrgeizige Ziel, bis 2025 für große Teile der Verwaltung einen web- und Open-Source-basierten Office-Arbeitsplatz bereitzustellen. Dieser soll eine echte Alternative zu Microsoft 365 bieten und so die Abhängigkeit der Verwaltung von einigen wenigen proprietären Anbietern durchbrechen.

Auf Bundesebene: Der neue Bundes-CIO Dr. Markus Richter hat einen Neun-Punkte-Plan vorgelegt, in dem digitale Souveränität und Open Source eine wichtige Rolle spielen.

Doch das Thema macht keinesfalls an Ländergrenzen halt: Die Europäische Kommission hat eine eigene Open-Source-Strategie veröffentlicht und plant ein eigenes Open-Source-Programm Office zu eröffnen. Auf europäischer Ebene befindet sich mit Gaia-X ein Projekt in der konkreten Umsetzung. Es verfolgt das Ziel, eine unabhängige und föderierte Cloud zu schaffen, die eine echte Alternative zu nicht-europäischen Angeboten bilden wird. Ich freue mich, dass Univention zusammen mit PlusServer und anderen Unternehmen innerhalb der Open Source Business Alliance – Bundesverband digitale Souveränität e.V. an einem Sovereign Cloud Stack (SCS) arbeiten, der die aus unserer Sicht beste technische Basis von Gaia-X bilden wird. Besonders erfreulich ist, dass sich namhafte Industrieunternehmen wie BMW, Bosch und Siemens diesen Initiativen anschließen.

Die zahlreichen Beispiele zeigen: Digitale Souveränität braucht Open Source und Europa hat sich auf den Weg gemacht, Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeiten auch im Digitalen zu gewinnen. Aber selbstverständlich sind diese Fähigkeiten nicht nur in Europa von Bedeutung, sie werden vielmehr weltweit einen selbstbestimmteren und innovativeren Umgang mit Informationstechnologie ermöglichen – und wir freuen uns darüber, dass wir mit Univention auch zusammen mit plusserver als starken Partner im Cloud-Bereich, unseren Beitrag dazu leisten können.

Herr Ganten, wir bedanken uns sehr für das spannende Interview!

Peter Ganten
Peter Ganten, Vorsitzender Open Source Business Alliance
Als Vorstandsvorsitzender der OSB Alliance setzt Peter Ganten sich seit 2011 erfolgreich in Politik und Wirtschaft für eine von Offenheit und Vertrauen geprägte europäische Perspektive der Digitalisierung ein. Seit 2018 ist er Mitglied der Fokusgruppe „Digitale Souveränität“ und wirkt an der Vorbereitung des Digitalgipfels der Bundesregierung mit. Peter Ganten ist außerdem Gründer und CEO der Univention GmbH und Mit-Initiator des Sovereign Cloud Stack.

Über den Autor

Kirsten Nothbaum ist Content & Product Marketing Manager bei plusserver und blick auf mehr als 15 Jahre in der IT-Branche zurück. Sie verantwortet unter anderem die Positionierung und Marketinginhalte der Security-Produkte sowie der plusserver Kubernetes Engine (PSKE).

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